Internationales Engagement


Die Süddeutsche Akademie für Psychotherapie findet politisches Engagement wichtig, da Psychotherapie Friedensarbeit ist.

 

Sie arbeitet z.B. mit der türkischen Menschenrechtsstiftung im Bereich der Psychotherapie zusammen. Es wird bereits der 3. Weiterbildungsgang in Psychotherapie mit den Mitarbeitern der Folterbehandlungszentren in der Türkei durchgeführt.

 

Zu diesem Engagement gehört auch ein Internationales Stipendium für ausländische ÄrztInnen, PsychologInnen und im sozialen Bereich Tätige (mit Hochschulabschluss) aus Schwellenländern.

„Gelöst und vollendet“ stammt von einem 11-jährigen Jungen aus Halabja. Das ganze Bild ausfüllend, liegen ein Mann und eine Frau tot eng nebeneinander. Sie sind eingebettet in hohes, wogendes Gras. Dahinter sind die Berge zu erkennen.



Erdbeben im türkischen Kurdistan und bevorstehende Wahlen in der Türkei

März 2023: Reisebericht von Frau Dr. med. Neşmil Kasumlu

 

Delegation der IPPNW bei der Ärztekammer in Diyarbakır. Neşmil steht vorne in der Mitte.
Delegation der IPPNW bei der Ärztekammer in Diyarbakır. Neşmil steht vorne in der Mitte.

Im März 2023 flogen wir unter dem Dach der Ärzte Friedensorganisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) nach Kurdistan und in die Randgebiete des großen Erdbebens vom Februar 2023, um uns einen Überblick über die derzeitige Situation in den Erdbebengebieten und die Menschenrechtssituation auf Grund der bevorstehenden Wahlen in der Türkei zu verschaffen. Bei dem Erdbeben am 6. Februar 2023 sind mehr als 50.000 Menschen in der Türkei gestorben und etwa 1,5 Millionen Menschen ihren Wohnraum verloren haben.


Die Delegation setzte sich aus Ärzten, Sozialarbeitern, Umweltgift-Spezialisten, Richtern, Pfarrern und Journalisten zusammen. Einige von uns fahren seit 26 Jahren einmal jährlich in die Türkei, um uns dort über die Menschenrechte zu informieren. Leider durfte, für uns überraschend, unsere langjährige Reiseorganisatorin Dr. Gisela Penteker am Flughafen Istanbul nicht einreisen, vermutlich wegen eines Interviews, in dem sie die türkische Regierung aufforderte den Vorwurf von Giftgaseinsatz gegen die Untergrundorganisation PKK auf zu klären.

Durch die traumatischen Erlebnisse unseres Übersetzers Erkan, der sofort nach dem Erdbeben nach Hatay aufgebrochen war, um zu helfen, erfuhren wir von der verheerenden Situation im Erdbebengebiet. Die Menschen verloren innerhalb von Sekunden ihre Angehörigen, ihr Heim, ihre Arbeit und Hab und Gut. Sie mussten hilflos zusehen, wie Menschen unter den Trümmern starben, weil die Regierung keine Hilfstruppen, Bulldozer und Krane schickte. Erkan half es von seinen Erlebnissen zu erzählen. Zur Selbstfürsorge stärkte ich den Gruppenzusammenhalt am Ende durch Schweigen und das Schwere erhielt durch die Töne meines Seelensangs Ausdruck und Halt.

 

Treffen der IPPNW-Delegation mit der Vorsitzenden Edibe Babur vom Verein TUHAY-Der. Neşmil steht rechts.
Treffen der IPPNW-Delegation mit der Vorsitzenden Edibe Babur vom Verein TUHAY-Der. Neşmil steht rechts.

Wir besuchten viele NGOs, wie Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer, Menschenrechts-Stiftung und waren vom Engagement der kurdischen Zivilgesellschaft beeindruckt. Als Beispiel stelle ich den Verein TUHAY-Der vor. Geleitet wird er von Edibe Babur, einer einfachen, traditionellen Frau mit Kopftuch, die ehrenamtlich politische Gefangene und deren Familien unterstützt. Unerschrocken erzählte sie, dass gegen sie wegen Presseerklärungen, in denen sie die Rechte der Gefangenen auf medizinische Behandlung, soziale Kontakte, körperliche Unversehrtheit, angemessene Ernährung verteidigte und Verbot von Folter forderte, 13 Verfahren anhängig sind. Als Beispiel nannte sie die Situation von Abdullah Öcalan, Gründer der PKK. Öcalan ist seit seiner Gefangennahme 1999 in Isolationshaft und erhielt seit 2011 nur mehr fünf Rechtsanwaltsbesuche. Auch wurden ihm oft Bücher und zensierte Zeitungen vorenthalten, Papier und Stift weggenommen. So saß er monatelang alleine in seiner Zelle, ohne Möglichkeiten zur Beschäftigung. Seit zwei Jahren wird jeglicher Kontakt zu ihm verweigert und niemand weiß, wie es ihm geht. Das ist gegen die UN-Menschenrechtskonvention und gilt als psychische Folter.


Die Spenden aus Deutschland habe ich vier Organisationen als Hilfe für Erdbebenopfer übergeben: der Ärztekammer Diyarbakir, dem Krisen-Netzwerk zur Unterstützung von Kindern und deren Familien, TUHAD-Fed, eine Organisation, die sich für Familienangehörige von politischen Häftlingen einsetzt, die durch das Erdbeben alles verloren haben und TODAP-Der, Verein der PsychologInnen für gesellschaftliche Solidarität. Sie wollen psychosoziale Hilfe für traumatisierte Erdbebenopfer leisten. Das Geld ist als Anschubhilfe für erste Feldrecherche (Gruppen- und Einzeltherapie, Supervision) gedacht. Danach soll die Organisation German Doctors eine längerfristige Finanzierung ermöglichen.

Ich übernehme die online Supervision.


Metin (Geschäftsführer der Menschenrechtsstiftung) und Neşmil
Metin (Geschäftsführer der Menschenrechtsstiftung) und Neşmil

Bericht von Frau Dr. med. Neşmil Kasumlu zur IPPNW-Prozessbeobachtung am 23.12.2022 in Istanbul


Seit vielen Jahren setze ich mich für die Menschenrechte in der Türkei und in Kurdistan ein. Kurz vor Weihnachten erfuhr ich über die türkische Menschenrechtsstiftung, dass die erste Verhandlung gegen Frau Prof. Dr. med. Şebnem Korur Fincancı auf den 23.12.2022, den Tag vor Weihnachten, gelegt wurde mit der Bitte den Prozess aus dem Ausland zu beobachten, damit dieser Fall fair und gerecht verhandelt wird. Şebnem wurde angeklagt, weil Sie als Vorsitzende der türkischen Ärztekammer ihre Meinung öffentlich geäußert hatte, dass die Vorwürfe von Giftgaseinsatz des türkischen Militärs in Syrien und Irak gegen Kurdenmilizen aufgeklärt werden sollten. Deshalb wurde sie wegen „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ festgenommen und saß bis zur Gerichtsverhandlung fast 3 Monaten im Gefängnis in Ankara. Ihr drohen 7,6 Jahre Freiheitsstrafe. Für die Kurden ist Giftgas ein großes Trauma, seit Saddam Hussein es 1988 gegen die Kurden in Halabja erstmals einsetzte und insgesamt an die 20000 Menschen starben. Deshalb war es so wichtig, dass der Vorwurf des Giftgaseinsatzes gegen die Kurden öffentlich angesprochen wurde.


Die Menschenrechtsstiftung bat um Unterstützung in jeglicher Form, auch um Delegationen zur Prozess Beobachtung. Sowohl die Unverfrorenheit des Gerichts, den Termin absichtlich einen Tag vor Weihnachten zu legen, damit möglichst wenige Nichtregierungsorganisationen Delegierte schicken konnten, als auch die Verhaftung von Şebnem machten mich wütend und entschlossen. Ich wollte sie unbedingt in diesem Prozess unterstützen. Ich kenne sie seit mehr als 20 Jahren, da wir sie im Rahmen von Informationsreisen zur Situation der Menschenrechte in der Türkei immer wieder aufsuchten. Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Universität in Istanbul ist sie international als Rechtsmedizinerin bekannt, die sich nicht fürchtet, gerichtsfähige Gutachten zum Nachweis von Folterspuren, die durch Staatsbeamte verursacht wurden, zu erstellen. Sie ist auch Mitautorin am „Istanbul Protokoll“, das von der UN gefördert, Leitlinien zur Dokumentation von Folter und Befragung von Folteropfern beschreibt. Sie arbeitete jahrelang mit der türkischen Menschenrechtsstiftung zusammen, die neben Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen auch Folteropfer in mehreren Zentren behandelt. In den vergangenen Jahren war sie auch Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung, bevor sie Vorsitzende der türkischen Ärztekammer wurde.


Die IPPNW, eine Ärzteorganisation für Frieden, bei der ich seit Jahren engagiert bin, war froh, dass ich fahren wollte und erklärte mich zu ihrer Delegierten. Beim festlichen Abendessen, das die Ärztekammer und die Menschenrechtsstiftung vorbereitet hatte, traf ich die Delegierten (Weltärztebund, Human Rights Watch u.a.) aus Norwegen, New York, Jerusalem und England sowie Vertreter der Ärztekammer und der Stiftung. Beim Essen fiel plötzlich Metin Bakkalci, Geschäftsführer der Menschenrechtsstiftung auf, dass ein Stuhl in der Mitte leer geblieben war und sagte sehr berührt: „Das ist der Stuhl von Şebnem und wir hoffen, dass sie morgen wieder frei bei uns sein kann.“ Am nächsten Morgen fuhren wir sehr früh los. Das Gerichtsgebäude war von Hunderten bewaffneter Polizisten umlagert. Sie waren alle wegen der großen Menge von Menschenrechtsaktivisten da, darunter auch viele bekannte Gesichter aus meinen früheren Supervisions- und Weiterbildungsgruppen. Schließlich wurden wir durch ein Spalier von Polizisten ins Gerichtsgebäude eskortiert. Der Gerichtssaal war viel zu klein für die Ansammlung von Menschen. Es durften nur wir ausländischen Delegierten mit Dolmetschern, die Vorstände und zahlreich anwesende Anwälte in den Gerichtssaal. Dann wurde Şebnem hereingeführt, begleitet von vier Polizistinnen. Wir standen alle auf und applaudierten während Rufe erschallten: „Wir lieben dich Şebnem!“  Danach hielten die drei Anwältinnen leidenschaftlich ihr Plädoyer über die Arbeit von Şebnem als Professorin und Rechtsmedizinerin, ihr internationales Ansehen und ihre Pflichten als Vorsitzende der türkischen Ärztekammer. Leider konnten wir den großen Sieg mit ihrer Freiheit nicht erringen. Der Staatsanwalt forderte 7,6 Jahre Freiheitsstrafe. Doch die herzerwärmende Solidarität zu erleben, war ungemein stärkend.


Zurückgekehrt versuchten wir bis zum nächsten Verhandlungstermin die deutsche und europäische Öffentlichkeit und Politik zu aktivieren, darunter auch eine Mailaktion an die türkischen Verantwortlichen. Und tatsächlich, wir haben es alle gemeinsam geschafft: Şebnem wurde aus dem Gefängnis entlassen. Doch wurde sie in 1. Instanz zu 2.8 Jahren Gefängnis verurteilt. Dagegen legt sie Revision ein. Ich bin so froh!!

 


 

IPPNW-Reise zur Menschenrechtslage in Kurdistan-Türkei März 2022

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Menschenrechtsaktivisten,

 

unter der erfahrenen Leitung von IPPNW-Mitglied Gisela Penteker sind wir, eine Gruppe von Menschenrechtsaktivist*Innen (Architektin, Sozialarbeiterin, Psychologin, Ärzte u.a.) im März in die Türkei gereist. Wir haben die Menschenrechtslage durch Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen sondiert und durch unsere Anwesenheit die kurdischen und türkischen Aktivisten unterstützt. Sie haben uns immer wieder versichert, wie dankbar sie sind, weil sie sich durch unsere Anwesenheit nicht mehr so allein in ihrem Kampf erleben. Neben berührenden und beeindruckenden Begegnungen und Einblicken u.a. in die kurdische Kultur standen niederschmetternde Beobachtungen über die Lage von Menschenrechtsaktivisten. Im Folgenden möchten wir einzelne persönliche Eindrücke von der Delegationsreise, die nach Van, Dersim, Diyabakir, Urfa und Ankara führte, teilen:
In der Millionenstadt Van wurden uns erhebliche Repressionen gegenüber kurdischen Anwält*Innen und Aktivist*Innen berichtet. Trotz offizieller Aufhebung des 2016 ausgerufenen Ausnahmezustands existiert eine „De Facto Weiterführung“, es gilt ein Demonstrations- und Presseerklärungsverbot seit sechs Jahren. Die Kurd*Innen vor Ort sprachen einen Appell an die europäische Gesellschaft aus, nicht nur „besorgt“ zu sein, sondern sich aktiv zu solidarisieren und bspw. über die Lage der Kurden in der Türkei zu berichten.

 

Für ein näheres Verständnis der Situation kurdischer Geflüchteter in Deutschland waren die Berichte der Ärztekammer und des türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV von Bedeutung, welche über desaströse Bedingungen und Folter in türkischen Gefängnissen berichteten. Erschwerend kam hinzu, dass die Helfer*Innen durch die steigenden Repressionen zunehmend selbst traumatisiert sind. Insbesondere vor diesem Hintergrund erscheint es bemerkenswert, dass die psychosoziale Arbeit vor Ort weitergeführt wird und sie uns trotz alledem mit einer überwältigenden Herzlichkeit mit Tee und Gebäck empfingen.
In dem geschichtsträchtigen Ort Dersim berichtete der kommunistische Bürgermeister einerseits über den Aufbau von landwirtschaftlichen kollektiven Strukturen in der Tradition alevitischer Kultur (Verbundenheit mit der Natur) als auch kleinerer lokalpolitischer Errungenschaften wie bspw. das Senken der Kosten für Wasser. Andererseits erfuhren wir von langjähriger Arbeitslosigkeit infolge der Massenentlassungen durch die AKP Regierung, Repressionen und Verhaftungen durch das türkische Militär sowie Ausbeutung lokaler Ressourcen durch europäische Firmen. Am Ende bekamen wir ein kleines Teelicht geschenkt, welches an eine kurdische Menschenrechtlerin erinnert mit einem Zitat von ihrer ersten Gerichtsverhandlung: „Wir waren da, wir sind da und wir werden immer da sein“.

In Amed (Diyarbakir) trafen wir Abgeordnete der HDP, der Demokratischen Partei der Völker. Sie haben zwei Forderungen: Gleichheit für alle Völker der Türkei und Gleichheit der Geschlechter, die sie durch die Besetzung von leitenden Stellen mit einem Mann und einer Frau umsetzen. Die Architektenkammer berichtete über den großflächig von der Regierung zerstörten historischen Stadtteil Sur mit Vertreibung der 28000 alteingesessener Bewohner.
Ein positiver Höhepunkt war der gemeinsame Austausch auf einem Fachtag, an dem ca. 40 ehrenamtliche Mitglieder der Menschenrechtsstiftung TIHV und dem sozialpsychiatrischem bzw. pädagogischem Umfeld Diyarbakirs teilnahmen. Der Vormittag bestand aus Vorträgen, welche sich inhaltlich an den Themen Resilienz und Empowerment im Kontext von Traumatisierung orientierten. Lilli Beckedorf referierte über Resilienz und psychisches Wachstum nach Trauma. Dorothea Zimmermann, Psychologische Psychotherapeutin (Wildwasser e.V.) widmete sich physischen und psychischen Traumata bei Kindern- und Jugendlichen sowie therapeutischen Behandlungsansätzen. Der Kinderarzt Ernst Ludwig Iskenius berichtete über Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Geflüchteter in Deutschland und die Frage, wie hilfreich Psychotherapie in unsicheren Krisenzeiten sein kann. Dr. Neşmil Kasumlu referierte über „Stärkender Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer“. Nach einer Mittagspause mit Kebab, Gözleme und Ayran fanden sich drei Workshop Gruppen zusammen, die sich vertieft austauschten.

 

In Urfa trafen wir vor dem Gerichtshof die Mahnwache von Mutter und Sohn Şenyaşar. 2018 wurden zwei Söhne und der Mann vor den Augen von Frau Şenyaşar durch die Wächter eines AKP Abgeordneten umgebracht, weil sich die Familie weigerte, ein Wahlplakat des Abgeordneten in ihrem Laden aufzuhängen. Ein weiterer Sohn wurde wegen dieses Vorfalls zu 37J Haft verurteilt und ist seit ca. einem Jahr in Isolationshaft. Frau Şenyaşar, eine einfache Frau, möchte Gerechtigkeit und, dass die Mörder ihrer Familie bestraft werden. Beim Erzählen ging sie in den typischen kurdischen Trauergesang über. Wir waren sehr von ihrem Schicksal erschüttert.

 

Nach zwei Wochen mit täglichen Delegationstreffen kamen wir mit rauchendem Kopf und einigen Fragen zurück nach Deutschland. Wir durften einen reichen Blumenstrauß an über Jahrzehnten geknüpften Kontakten und Beziehungen in Nordkurdistan kennen lernen. Vielleicht schließen sich bei der nächsten Delegationsreise ja noch weitere neue Gesichter an.

 

Lilli Beckedorf, Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung an der SAP

und Dr. med. Neşmil Kasumlu


 Online Reise zur Menschenrechtslage in der Türkei im März 2021

 

Bei unserem letzten online Dozententreffen Ende April 2021 wurden wir daran erinnert, dass für die Dozenten und Ausbildungsteilnehmer das politische Engagement der SAP eines der Gründe ist, warum sie gerne bei uns sind. Deshalb möchte ich von unserer online Reise in die Türkei berichten, die wegen Corona nicht in Präsenz stattfinden konnte.

 

Wir, eine kleine Reisegruppe von Menschenrechtsaktivist*innen unter dem Schirm der IPPNW hörten uns zwei Wochen lang die Menschenrechtslage in der Türkei an. Unsere Gesprächspartner waren Nichtregierungsorganisation wie Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer, Menschenrechtsverein, Menschenrechtsstiftung, Gewerkschaften, Verein zur Förderung armer Kinder unter anderem. Aber auch zwei Parteien, HDP und DEVA. Das Resümee war: ein funktionierendes Rechtssystem gibt es in der Türkei nicht mehr, auch keinen demokratischen Staat.

 

Obwohl das Berichtete sehr bedrückend war, gaben uns unsere Gesprächspartner die Kraft, weiterzumachen, da sie immer wieder betonten, wie gut es ihnen tut, dass wir zuhören. Sie wünschten sich von uns vor allem Veröffentlichung ihrer Situation. Wer mehr erfahren möchte, kann das unten (siehe PDF Dokument) tun. Unsere Gruppe hat auch eine Reise nach Deutschland zu verschiedenen Vereinen und Institutionen in diesem Herbst für sechs unserer Gesprächspartner*innen und der Dolmetscherin organisiert, um zu informieren, aber auch durch Kontakte ihnen Mut zu machen.

 

Download
Online Reise zur Menschenrechtslage in der Türkei 2021
Akzente_Tuerkei_2021.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.1 MB

Psychotherapie-Ausbildung in der Türkei

Die SAP hat in Kooperation mit der türkischen Menschenrechtsstiftung und mit Zertifizierung der Ärztekammer in Istanbul eine Weiterbildung in Psychodynamischer Psychotherapie für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen durchgeführt.

 

Um gegen die Folter und die Verfolgung der Kurden in der Türkei etwas zu unternehmen, bemühte sich Frau Dr. Neşmil Kasumlu seit 1991 in Delegationsreisen, u.a. mit der International Physicians for the Prevention of Nuclear War and Social Responsibility (IPPNW), um Informationen über die Situation der Kurden und die Lage des Landes. Daraus entstand eine jahrelange Zusammenarbeit mit der türkischen Menschenrechtsstiftung und insbesondere mit dem Folterbehandlungszentrum in Izmir. Da die Arbeit mit Folterüberlebenden für die Mitarbeiter der Folter-Behandlungszentren sehr aufreibend ist, wurde Frau Dr. Kasumlu als Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin um Supervision gebeten, sowohl um Konflikte im Team aufzuarbeiten als auch Burn-out Prophylaxe zu betreiben. Dabei stellte sich heraus, dass ein großer Bedarf nach mehr psychotherapeutischer Kompetenz bestand. Aus all dem ist eine vertrauensvolle Beziehung und Zusammenarbeit entstanden, die in Frau Dr. Kasumlu und dem Leiter und Gründer der Süddeutschen Akademie für Psychotherapie (SAP), Wilhelm Ritthaler, die Idee einer Psychotherapie-Ausbildung in der Türkei reifen ließ.


Stipendiat

Als ersten Schritt luden wir einen türkischen Psychiater der Menschenrechtsstiftung mit guten Deutschkenntnissen als Stipendiaten in unsere Akademie nach Deutschland ein. Er absolvierte erfolgreich eine dreijährige Ausbildung entsprechend der Zusatzbezeichnung Psychotherapie. Dadurch ermutigt und um mehr Teilnehmer zu erreichen, beschlossen die Gründer der Süddeutschen Akademie für Psychotherapie, in der Türkei Ärzte und Psychologen nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Zusatzbezeichnung Psychotherapie auszubilden. Die kulturellen Aspekte des Landes sollten berücksichtigt werden. Im Rahmen der zukünftigen EU-Mitgliedschaft der Türkei sollte es auch eine europaweit anerkennungsfähige Ausbildung sein.


Weiterbildung

So haben wir als SAP in Kooperation mit der türkischen Menschenrechtsstiftung und mit Zertifizierung der Ärztekammer in Istanbul eine Weiterbildung in Psychodynamischer Psychotherapie für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen durchgeführt.

 

Die Gruppe beendete im April 2009 die Ausbildung mit einem Zertifikat der SAP. Als nächstes werden die Teilnehmer psychotherapeutische Behandlungen unter türkischer und deutscher Supervision durchführen. Diese erste Ausbildungsgruppe bestand zu einem guten Drittel aus Kurden und knapp zwei Dritteln aus Türken. Abgeschlossen haben insgesamt 15 Teilnehmer.


Bericht über die Weiterbildung von Mitarbeiterinnen des Traumazentrums Chamchamal in Kurdistan-Irak

Frau Dr. Neşmil Kasumlu (Ausbildungsleiterin der SAP) und Herr Dr. Tilmann Rentel (Dozent an der SAP) gaben einen Workshop für Mitarbeiterinnen des Traumazentrums in Chamchamal (Kurdistan-Irak). Diese werden Ende September 2015 in der neu eröffneten Klinik in Chamchamal durch die ISIS traumatisierte Frauen aus Syrien und Kurdistan-Irak behandeln. Uns war es wichtig, ihnen in praktischen Beispielen Selbstfürsorge und Psychotherapie, insbesondere Traumatherapie, nahe zu bringen. Es wurde ein sehr schöner, dreitägiger Workshop. Wir waren begeistert von dem Engagement und der Offenheit der Teilnehmerinnen und kamen ganz von der Sinnhaftigkeit unserer Arbeit erfüllt wieder zurück.


Orientierungsseminar

Wir begannen im September 2006 in Istanbul mit einem Orientierungsseminar. Wir trafen uns dann in der Folge zweimal jährlich für jeweils eine Woche. Die Ausbildungsmodule, insgesamt 380 Std., bestanden aus:

  • Psychodynamische Theorie
  • Autogenes Training
  • Balintgruppe
  • tiefenpsychologische Selbsterfahrungsgruppe
  • Zweitverfahren Gestaltselbsterfahrung

Die Theorie und das Autogene Training wurden von zwei Übersetzern ins Türkische übersetzt, die Balintgruppe und die Selbsterfahrung konnten in türkischer Sprache abgehalten werden. Die Wochen-Seminare waren sehr intensiv, mindestens acht Stunden täglich mit längerer Mittagspause. Am Ende jeder Woche erfolgte eine Evaluation des Seminars.

Um den Gruppenprozess und die Intensität Bedingungen für Gruppen-PT aufrecht zu erhalten, beschlossen wir, die Wochenblöcke in einem Hotel in der Nähe von Izmir durchzuführen. Oftmals wurde nach der Weiterbildung bis spät in die Nacht lebhaft diskutiert.


Balintgruppen

Am Anfang bestand bei uns die große Frage, ob und wie die westliche Psychotherapie in die Türkei übertragbar ist. In den Balintgruppen konnten wir das Spektrum der Problemkreise in der Türkei sehen. Im Westen der Türkei arbeitende Kollegen brachten sehr ähnliche Fälle wie in Europa oder Deutschland ein, während die kurdischen Kollegen auch sehr spezielle Themen ansprachen wie zum Beispiel das Problem eines drohenden so genannten Ehrenmordes.

 

Die teilnehmenden Psychologen und Ärzte hatten zuvor einzelne Fortbildungen in Psychotherapie absolviert, aber wenig an intensiver Selbsterfahrung teilgenommen. Wir gewannen den Eindruck, dass die in der Ausbildung enthaltene Selbsterfahrung ihnen eine enorm wichtige Möglichkeit der Aufarbeitung eigener Probleme und eine Reifungschance geboten hat.  Zudem konnten sie am eigenen Leib erfahren, wie intensiv, verunsichernd, aber auch stärkend Psychotherapie sein kann. Da theoretisches Wissen ausreichend vorhanden war, interessierten sich die Kolleginnen und Kollegen vor allem an der Umsetzung der Theorie in die Praxis, weshalb wir diesen Teil mit vielen Übungen und Rollenspielen erfahrbar machten.

 

Welche seelischen und gesellschaftlichen Folgen die politische Situation in der Türkei in sich birgt, bildete sich im dritten und vierten Block der Selbsterfahrung wegen der bi-kulturellen Zusammensetzung mit Türken und Kurden auch in der Gruppendynamik ab. Heftige Auseinandersetzungen brachen aus, die sich um die kurdische Selbstbestimmung und das Bedrohungsgefühl drehten, das bei den Türken dadurch ausgelöst wird. 

Diese Ereignisse im dritten Block hatten einige Teilnehmer belastet, weshalb die Selbsterfahrung im vierten Block relativ stockend und mit vielen Schweigepausen anlief. Doch ließ sich der Konflikt zufriedenstellend lösen.

Evaluation

In der Evaluation haben die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass am Türken-Kurden-Konflikt oft Menschenrechts- und politische Solidaritätsgruppen auseinander fallen. Sie waren deshalb über diesen Verlauf erleichtert. Unser Anliegen von  Psychotherapie als Friedensarbeit war damit erfüllt. Wir als Ausbilder sind sehr dankbar, eine so lernbegierige, intensive Gruppe begleitet zu haben. Unsere Ziele der Kompetenzerweiterung und Burnout-Prophylaxe sind erreicht und geglückt. Wir danken unserem Dozententeam, das großzügig auf sein Honorar verzichtet hat.

Um die Psychotherapie auch so genannten Schwellenländern zugänglich zu machen, vergibt die SAP jährlich ein Internationales Stipendium für eine dreijährige Psychotherapie-Ausbildung in Bad Grönenbach. Das Stipendium richtet sich an im Ausland lebende Ärzte und Psychologen mit ausreichenden Deutschkenntnissen. Ziel ist es, dass die Stipendiaten die Psychotherapie in Ihrem Heimatland anwenden und als Brücke für die Verbreitung von psychotherapeutischem Wissen dienen. 


Downloads

Zum Internationalen Engagement der SAP stehen folgende Artikel aus dem Bayerischen bzw. Deutschen Ärzteblatt als PDF-Datei zum Download bereit:

 

Psychotherapieausbildung Türkei.pdf 228,36 kB 

Dr. med. Neşmil Kasumlu

Bayerisches Ärzteblatt 9/2009, S. 430f

 

Repression gegen Ärzte DÄ.pdf 50,07 kB

Dr. med. Neşmil Kasumlu

Deutsches Ärzteblatt Jg. 99, Heft 10, 8. März 2002

 

Traumatisierung kurdischer Kinder.pdf 136,15 kB

Dr. med. Neşmil Kasumlu

Deutsches Ärzteblatt Jg. 95, Heft 1-2, 5. Januar 1998